Dass sie zu Haftstrafen für mehrfachen Mordversuch verurteilt werden könnten, haben zwei junge Leute sicher nicht gedacht, als sie sich mit einem Molotowcocktail einer Wohnung in der Nordstraße im Gladbacher Stadtteil Rheydt näherten. So aber geschah es, auch weil sie nach Ansicht des Gerichts den Tod von Kindern bei einem Brandanschlag zumindest in Kauf nahmen oder gar wollten.
Es geschah am 11. Oktober 2019 an einem Vierfamilienhaus. Nur durch Zufall kam kein Mensch zu Schaden. Trotzdem gehen zwei Männer aus Duisburg, Ricardo C. (geb. September 1994) und sein Schwager Maximilian S. (geb. März 2000), nach Urteil der 1. Großen Jugendkammer des Landgerichts Mönchengladbach wegen versuchten Mordes bzw. Beihilfe dazu für fünf Jahre und neun Monate und für vier Jahre ins Gefängnis.
Beide Angeklagte haben die Förderschule ohne Abschluss verlassen und sind arbeitslos. Ricardo C. ist vorbestraft, Maximilian S. nicht. Seit November 2019 sitzen sie in Untersuchungshaft. Ihre Tat ist der Höhepunkt einer länger andauernden Auseinandersetzung zwischen zwei Roma-Sippen aus Mönchengladbach und dem Ruhrgebiet.
Anlass dieses Konfliktes war eine Beziehung zwischen einem 16jährigen Mädchen aus der Nordstraße und einem verheirateten Mann aus der Familie in Duisburg (für eine Beteiligung dieses Mannes an der Tat oder ihrer Planung gibt es keine Indizien). Infolgedessen wurde das Mädchen von Mitgliedern der Familie dieses Mannes gezwungen, sich die Haare kurz schneiden zu lassen. Am Tag darauf erschienen bei Facebook Drohungen, das Haus der Familie in Brand stecken zu wollen. An diesem Tag sollen dann auch beide Familien an einer Straßenkreuzung aufeinander getroffen sein. Es kommt zu einem heftigen Streit, bei dem Ricardo C. angeblich mit einem „scharfkantigen Gegenstand“ (einer Machete, wie viele berichten) am Arm verletzt wird. (Die Polizei ließ danach eine Telefonüberwachung schalten, um die Klarnamen der Beteiligten, die teilweise nicht bekannt waren, zu ermitteln.) Wegen des Konfliktes wird auch intern (vergeblich) versucht, durch einen von einer Respektperson, „Roma-Richter“ genannt, gefällten Richterspruch Frieden zu stiften. Maximilian S. erzählt, am Abend der Tat habe Ricardo C. davon gesprochen, den Familien Cz. und G. einen Denkzettel verpassen zu wollen. Er sei mitgekommen, um nicht als Feigling dazustehen.
In der Nacht des 11. Oktober 2019 etwa gegen 1 Uhr fahren die Angeklagten mit einem Pkw in die Nordstraße, wo sich das Haus, ein dreistöckiger Altbau, befindet. Ricardo C. wirft zuerst eine mit Wasser gefüllte Flasche gegen die Fensterscheibe des Schlafzimmers des Ehepaares Nikolaj und Luluci Cz., um die Scheibe zu zerstören. Dann schleudert er einen Molotowcocktail hinein, der allerdings einem Vollbrand des Hauses nicht verursacht. Die Angeklagten flüchten nach der Tat. Maximilian S. behauptet, er sei nicht bis zum Haus der Familien Cz. und G. mitgegangen, sondern habe sich in einem Gebüsch versteckt. Im Übrigen habe er nicht geglaubt, Ricardo C. würde tatsächlich einen Molotowcocktail in das Haus werfen. „Dann hätten wir Ärger bekommen, alle wussten ja von dem Streit.“
Ein Anwohner aus der Brucknerallee sagt aus, er habe Glas brechen gehört und danach aus dem Fenster geschaut. Er habe zwei junge Männer aus der Richtung Nordstraße fortlaufen und in ein Auto einsteigen sehen. Die Angeklagten seien auf gleicher Höhe gelaufen. Damit wurde die Behauptung von Maximilian S., er habe sich im Gebüsch versteckt, sehr fragwürdig. In einem Verhör der Polizei hatte Ricardo C. behauptet, dass Maximilian S. und dessen Bruder die Tat begangen hätten bzw. dass er lediglich an einer Tankstelle das Material besorgt und den Molotowcocktail fertiggemacht habe und sein Mitangeklagter damit zum Tatort gegangen sei. In einem von der Polizei abgehörten Telefongespräch hatte Ricardo C. aber damit angegeben, die Tat selbst begangen zu haben. In einer Einlassung zu Beginn des Prozesses gibt er seine Haupttäterschaft dann auch zu. Ricardo C. erklärt zu der Tat, er habe zeigen wollen, dass man „so nicht mit ihm umgehen könne“. Er habe aber nicht damit gerechnet, dass dabei „das ganze Haus abbrennen“ würde. Die Beweisaufnahme ergibt allerdings, das sich in dem betreffenden Schlafzimmer viele Laken, Stoffvorhänge und Teppiche befanden, von denen man annimmt, es seien leicht entflammbare Materialien.
Ricardo C. wird – wie eingangs erwähnt – (u.a.) wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, Maximilian S. wegen Beihilfe zu vier Jahren (Az 32 KLs 4/20). Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hat für den älteren Angeklagten sieben und für den jüngeren fünf Jahre Haft gefordert. Das Gericht glaubt der Verteidigung von C. nicht, dass er nicht mit einem Brand gerechnet habe. „Die wollten den Brand sehen“, sagt der Vorsitzende Richter Lothar Beckers in seiner Urteilsbegründung. Das Gericht sieht Mordmerkmale wegen des gemeingefährlichen Mittels und der Heimtücke (die Hausbewohner seien arg- und wehrlos gewesen) als gegeben an.
Die Verurteilten haben Revision eingelegt. RA Ingo Lindemann, einer der Verteidiger von Maximilian S., erklärte hierzu gegenüber dem Gladbacher Tageblatt, das Gericht habe unzureichend begründet, dass S. von der Absicht Ricardo C.s gewusst habe, den Molotowcocktail in die Wohnung der Familien Cz. und G. und nicht gegen die Hauswand zu werfen. Das Strafmaß für seinen Mandanten sei im Verhältnis zur Strafe des Haupttäters zu hoch.
Rhenanus