Was führte zum Tod von Emily?

Für den Tod von Emily P. wurden keine Schuldigen gefunden. Sie verstarb am 30.06.19 in einem Londoner Krankenhaus, in das sie am Vortag eingeliefert wurde. So endete für das junge Mädchen, Jahrgang 2005, aus Mönchengladbach,  eine Klassenfahrt (Studienfahrt) ihrer Schule nach London.

Zunächst von der Staatsanwaltschaft und Nebenklägern angeklagt wegen fahrlässiger Tötung waren zwei von vier Lehrkräfte, unter deren Obhut der Ausflug an die Themse stattfand.

Die 1. Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach hat das Verfahren im Mai 2022 wegen der besonderen Bedeutung der Sache vom Jugendschöffengericht übernommen. Die 1. Strafkammer hat nunmehr mit Beschluss vom 16.02.23 entschieden, das Verfahren nicht zu eröffnen.  Die Angeschuldigten haben nach Auffassung der Kammer ihre Aufsichtspflicht zwar in mehrfacher Hinsicht verletzt. Die Kammer geht nach dem Ermittlungsergebnis aber nach dem Zweifelssatz (in dubio pro reo) davon aus, dass die Pflichtverletzungen für den Tod von Emily nicht kausal gewesen sind und eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung deshalb nicht hinreichend wahrscheinlich ist.

Der Tod des jungen Mädchens ist schließlich durch eine Verkettung einer Reihe unglücklicher Ereignisse eingetreten. Zunächst einmal war Emilys Diabeteserkrankung sei bei der Schule aktenkundig Die Angeschuldigten hätten davon jedoch keine Kenntnis gehabt, da ihnen Emily vor dem Beginn der Studienfahrt aus dem Unterricht nicht bekannt war, die Schulleitung sie nicht über die Erkrankung informierte und die Angeschuldigten selbst sich im Vorfeld der Studienfahrt keine Kenntnis darüber verschafft haben  durch (ausdrückliche) Nachfrage bei der Schule und/oder bei der Erziehungsberechtigten, eine alleinerziehende Mutter oder dem Vater, mit dem Emily Umgang hatte. Verwunderlich: auch bei einer von der Schule vorbereitend durchgeführten Informationsveranstaltung am 09.05.19 kam  die gefährliche Diabeteserkrankung von Emily nicht zur Sprache.

Auf der Fahrt hat Emily die erforderlichen Blutzuckerkontrollmessungen und die Zuführung des entsprechend benötigten Bonusinsulins vernachlässigt. Zur Regulierung ihres krankheitsbedingt gestörten Insulinhaushalts hat sie seit dem Jahr2014 eigenverantwortlich eine Insulinpumpe genutzt, die über einen Katheter einen Grundbedarf (sog. Basalinsulin) kontinuierlich unter die Haut infundiert habe.Zusätzlich h#tte Emily in Abhängigkeit von der eingenommenen Mahlzeit weiteresInsulin (sog. Bonusinsulin) zuführen müssen. Hierfür sei es erforderlich gewesen, mehrfach täglich und auch nachts den Blutzucker zu messen und die Messdaten in die Pumpe einzugeben, die dann automatisch die benötigte Menge Bonusinsulin über den Katheter an den Körper abgab. Alles das unterblieb.

Die Studienfahrt begann am 26.06.19, einem Mittwoch,  gegen 20.00 Uhr, mit einem Bus in Richtung London. Am Donnerstag, 27.06.19, gegen 04.15 Uhr hatte Emily über den Messengerdienst „What’s App“ Kontakt mit der Nebenklägerin, der sie auf Nachfrage mitteilte, dass ihre Blutzuckerwerte gut seien. Das Messgerät in der Insulinpumpe zeigte indes einen Wert von 400 mg/dl, der eine unmittelbare Gabe von Bonusinsulin erfordert hätte. Eine entsprechende Zufuhr erfolgte ebenso wie eine weitere Blutzuckerkontrollmessung nicht.

Was danach folgte ist relativ sorgfältig recherchiert und zeigt eine zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustands von Emily, die von den Lehrkräften und natürlich auch nicht von Mitschülern richtig eingeordnet werden konnten und führte schlussendlich zu der Einlieferung mit Rettungswagen zunächst in das Royal London Free Hospital und anschließend in das Great Ormond Hospital, wo sie nach anfänglicher Besserung am Sonntag, dem 30.06.19, verstarb.

Die Anklage geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass Emilys Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können, wenn sie bereits am 28.06.19 stationär aufgenommen und ärztlich mit Insulin versorgt worden wäre. In rechtlicher Hinsicht ist die Staatsanwaltschaft der Auffassung, dass das Unterlassen der gebotenen medizinischen Versorgung den beiden Angeschuldigten zuzurechnen ist. Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung sei darin zu sehen, dass sie sich als organisationsverantwortliche Lehrkräfte vor dem Antritt der Studienfahrt nicht oder nicht hinreichend über mögliche Vorerkrankungen oder sonstige gesundheitliche Einschränkungen der Schüler informiert und damit ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten. Entscheidende Bedeutung misst die Anklage hier dem von den Angeschuldigten organisierten unverbindlichen Informationsabend vom 09.05.2019 bei. Dort hätten nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die maßgeblichen gesundheitlichen Informationen generiert werden müssen. Hätten die Angeschuldigten aufgrund pflichtgemäßer Vorbereitung der Fahrt vor Ort von Anfang an Kenntnis von der Diabeteserkrankung gehabt, hätten – so die Kausalkettenführung der Anklage – die ihnen am Freitagmorgen mitgeteilten Symptomen sie veranlassen müssen, schon an diesem Tag Emilys stationäre Aufnahme in einem Krankenhaus zu veranlassen und nicht erst am Samstag, als es für erfolgversprechende Rettungsmaßnahmen zu spät war.

Die von der Verteidigung der Angeschuldigten angeführten alternativen Todesursachen, insbesondere in Form einer akuten Herzmuskelentzündung liegen nicht gänzlich fern auch in Ansehung des Umstands, dass Emily neben Diabetes an weiteren Vorerkrankungen (Schilddrüsenunterfunktion, offenes Foramen Ovale (Loch im Herz) bei der Geburt) litt, blieb die Annahme alternativer medizinischer Kausalverläufe, die dem Einfluss der Angeschuldigten entzogen und hier damit entlastend sein könnten, im Ergebnis spekulativ, so dass – in tatsächlicher Hinsicht – eine Verurteilung der Angeschuldigten

im Ergebnis wahrscheinlicher als ihre Freisprechung gewesen wäre. Dass dies nicht geschieht, wird von der Kammer damit begründet, es fehle  nach Auffassung der Kammer indes an einer – für den Erfolgseintritt kausalen – Pflichtverletzung, so dass eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 222, 13 StGB nicht gegeben sei, weshalb es nicht zur Anklage und Verhandlung kommt.
Quelle: Landgericht Mönchengladbach

Diskutieren Sie mit. Finden Sie die Entscheidung der Strafkammer richtig? Hätten Sie anderes geurteilt? eMail an: phmaas@hotelinterngroup.de, wir veröffentlichen Ihre Zuschrift, Sie können entscheiden in Klartext oder anonym.

close

Abonnieren Sie jetzt unseren Newsletter!

Wenn Sie noch mehr wissen wollen, tragen Sie sich ein für einen kostenlosen Newsletter und erhalten Sie vertiefende Infos zu gesellschaftlichen Entwicklungen, Kulinarik, Kunst und Kultur in Mönchengladbach und am ganzen Niederrhein!

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.